Knödelmut und die Rettung von Deggendorf

Im Jahr 1266 war Deggendorf eine Stadt mit zwei Mauerringen, drei Metzgern, einem schlechten König vor der Tür – und einem Knödel, der nicht recht wusste, wofür er eigentlich da war.

Er war kugelrund, gut durchgezogen und schön gebräunt. Aber niemand nahm ihn ernst.

„Knödel sind halt Sättigungsbeilage“, sagte der Braten. 
„Für Reste. Aus altem Brot halt“, frotzelte die Weißwurst. 
„Die Form ist auch ein Witz“, kicherte ein langer Spargel, der selbst etwas krumm war.

Der Knödel wurde immer stiller. Er war traurig. 

Er träumte davon, wichtig zu sein – vielleicht sogar der Mittelpunkt eines Festmahls. Aber meistens lag er einfach nur da und wartete.  Auf jemanden, der wichtiger zu sein schien.

Nur einer mochte ihn sofort. Ein Junge, vier Jahre alt, neugierig, barfuß – und einer, der es blöd fand, wenn jemand ausgelacht wurde.
Seine Tante war die Bürgermeisterin. Die mit dem großen Schlüssel und der Wohnung in der Zwingergasse. 

Und als sie an jenem Tag den Knödelteig zubereitete, stand er auf einem umgedrehten Eimer daneben und beobachtete alles ganz genau.

„Ich mag Knödel. Und ich glaub, der da ist besonders“, sagte der Junge und deutete auf einen Semmelknödel mittlerer Größe. 
„Warum?“, fragte seine Tante.
„Weil er wie einer ausschaut, der was kann.“
Die Bürgermeisterin schnaubte leise.
„Wir haben andere Sorgen, mein Kleiner. Heute zählt, was satt macht. Nicht, was vielleicht wie ausschaut.“

Draußen tobte der Krieg.
Ottokar von Böhmen rückte mit seinem Heer an, plünderte die Vorstadt, stellte Leitern an die Mauern. Die Bürgerwehr zog sich in den Zwinger zurück.
Es roch nach Rauch, Angst und Rüben.

Als der Junge aus dem Fenster sah, rief er: 
„Da is einer auf der Mauer!“
Die Tante erschrak, griff nach dem nächstbesten Knödel – aber der Junge sagte: „Nein, nimm den!“ Die Tante griff nach dem mittlerer Größe. „Genau den.“

Der Knödel verstand plötzlich alles.
Er war nicht hier zum Sattmachen. 
Er war hier zum Handeln.
In dem Moment, als die Hand der Bürgermeisterin nach ihm griff, wurde es ganz still in ihm. 
Er hatte nur noch einen Gedanken:
„Jetzt.“ 
Jetzt war er dran. 

Nicht zum Sattmachen. Nicht als Beilage.
Sondern weil’s keinen besseren gab.

Und dann – WUMM! – traf er den feindlichen Späher mitten ins Gesicht.
Der stürzte rücklings von der Leiter und platschte in den Stadtgraben. Pudelnass und blamiert watschelte er zurück ins Lager und rief: „Die Deggendorfer schießen mit Knödeln!“
Ottokar zögerte. Dann fluchte er.
Und dann drehte er ab.
Deggendorf war gerettet.
Nicht durch Waffen. 
Sondern durch einen Knödel.
Und vielleicht, weil einer rechtzeitig gesehen hat, was in ihm steckt.

Noch heute hängen am Alten Rathaus zwei steinerne Kugeln.
Die einen sagen, sie erinnern an Angst.
Die anderen sagen, an Mut.
Und die Schlauen wissen: an Knödelmut.