In einer alten Bratküche am Rand des Nürnberger Hauptmarkts lagen drei vergessene, kleine Würste nebeneinander auf einem Rost. Sie waren kaum so lang wie ein Zeigefinger, aber dafür sehr herzhaft. Es war schon Abend, die Fenster beschlagen, der Rauch kalt.
„Heut ist der Tag“, flüsterte die mit der extra Portion Majoran. „Lang schau ich mir das nimmer an.“
„Wir verschwinden“, sagte die Angebräunte.
„Bevor der Brater kommt“, ergänzte die, die am Zipfel schon einen kleinen Riss hatte.
Denn die drei hatten einen Plan: Sie wollten mehr sein als nur „Drei im Weckla“ –wie man sie hier in Nürnberg seit Jahrhunderten mit Senf ins Brötchen legt. Sie wollten nicht länger darauf warten, gegessen zu werden.
Sie wollten selbst entscheiden, von wem. Und wofür.
„Unsere Vorfahren“, raunte die Majoranige, „waren aus bestem Schwein und edlen Gewürzen gemacht – von überall hergebracht, auf der Goldenen Straße.“
„Der Majoran kam aus fernen Gärten, der Pfeffer aus Venedig!“, ergänzte die Zipflige.
„Und weil sie so gut rochen, hielt sie keiner lang auf – nicht mal der Zoll!“, grinste die Angebräunte.
Sie rollten leise vom Rost, wackelten durch die Speisekammer und sprangen – mit vereinten Kräften – durchs offene Fenster.
Das war knapp… Drinnen ging nämlich gerade das Licht an.

Draußen war es aufregend. Die Angebräunte vermutete freudig hinter der nächsten Ecke einen scharfen Senf. Doch noch ehe sie den ersten Marktstand erreicht hatten, hörten sie eine Stimme. Tief. Brummig. Hungrig.
„Die drei…! Da san sie ja! Ja sag a mal.“
Der Brater! Er hatte sie bemerkt. Und er kam näher. Mit Grillzange.
Da tauchte plötzlich ein kleines Mädchen auf. Sie hatte goldenes, welliges Haar und eine Kindergartentasche mit dem Sticker „Stolzes Vorschulkind“ umgehängt. Sie blieb stehen, schaute kurz auf die drei – und lächelte. Ein wissendes Lächeln.

Ohne ein Wort beugte sie sich hinunter, sah die Würste an – und öffnete ihre Tasche.
Die drei verstanden sofort und zögerten keine Sekunde. Sie sprangen hinein. Zwischen Apfelstück und Stoffhase. Das Mädchen ging einfach weiter und tat so als wäre nichts gewesen. Der Brater sah sie. Und ging vorbei. „Komisch“, murmelte er. „Ich hätt schwören können, da war’n die Würscht.“

In der Tasche roch es nach Apfel, Papier und ein bisschen nach Abenteuer.
Ein Kinderatlas lag offen. Die Majoranige legte sich auf eine Karte, genau auf Mittelfranken, dort, wo der Atlas eine Bratwurst mit Krone zeigt.
„In Klosterküchen geformt, mit Handelsgewürzen verfeinert – so fing’s an“, sagte die Majoranige.
„Wir wurden klein gehalten, damit wir durch Stäbe am Fenster passen“, ergänzte die Zipflige.
„Die passten sogar durchs Gitter vom Gefängnis. Klein, aber mutig.“
„Aber die haben so viel Abenteuer vielleicht gar nicht gewollt“, flüsterte die Angebräunte.
„Wir aber schon“, sagte die Zipflige.
Es wurde still in der Tasche. Nur das Knistern des Atlases war zu hören.
Dann sagte die Majoranige leise:
„Ich will in ein gutes Weckla. Nicht irgendein Brater soll uns holen. Sondern jemand mit Senf. Und Herz.“
Die anderen nickten. Als sie später im Hinterhof des Kindergartens wieder hervorkamen, bedankten sie sich mit einem kleinen Wurstsalto. Das Mädchen lächelte wieder. Dann zog sie langsam ein frisches Weckla aus ihrer Tasche – und legte es auf eine Parkbank.
Die drei sahen einander an.
„Drei im Weckla ist vielleicht gar nicht so schlecht“, sagte die Majoranige.
„Kommt drauf an, wer’s isst“, meinte die Angebräunte.
„Und wo man vorher war“, fügte die Zipflige hinzu.
„Und ob der Senf scharf is oder ned“, grinste die Angebräunte.

Dann sprangen sie in das Brötchen. Eng aneinandergeschmiegt, wie es seit Jahrhunderten Brauch war. Und ganz freiwillig. Es fühlte sich für sie genau richtig an.
Und dann, kurz bevor sie verschwanden –
sagte die Majoranige zufrieden und mit einem Augenzwinkern:
„Manchmal muss man klein sein, um groß rauszukommen.“
Die Zipflige lachte: „Stimmt wohl. I hoff bloß, der Senf is g‘scheid scharf.“ Und weg waren sie.