Ein Allgäuer Emmentaler auf großer Bühne

Er lag im Reifekeller, ganz außen. Dort, wo selten jemand hinsah.
Rund. Rindengereift.
60 Kilo – aber nur sechs Löcher.

„Viel zu wenig für einen g’scheidn Emmentaler!“, rief sich ein Rotschmierkäse. Er brauchte sich selber keine Gedanken über die eigene Lochbildung machen, sagte aber gerne anderen, wie viele Löcher sie haben mussten.
„Tausend brauchst für das Käsefest in Oberstdorf!“

Bereits seit Wochen fieberten alle auf den großen Käsewettbewerb in Oberstdorf hin.

Und auch der Butterkäse stimmte kichernd mit ein:
„Mit sechs kommst maximal auf a Fertigpizza. Du musst einfach a bissl offener sein, dann passiert das mit den Löchern ganz von alleine.“

Die anderen Emmentaler-Laibe hatten längst ausgegast, gegärt und geglänzt.
Manche hatten so viele Löcher, dass man durch sie durchpfeifen könnte wie durch Alphörner. Ein paar nannten sich sogar „Premium“ oder „Extra Active“.
Bei ihm war das irgendwie anders.
Ein feines Gären in Woche vier. Zwei wunderschöne Blasen in Woche sechs.
Aber dann – nichts mehr. Nur er blieb kompakt.

Die Käse tuschelten. „Ob der überhaupt nach Käse schmeckt?“
„Vielleicht is des bloß a Wachsmodell.“
Der Rotschmierkäse lachte: „Der is wahrscheinlich gar kein richtiger Emmentaler.“

Der Allgäuer Emmentaler versuchte nun alles: Locker lassen. An kohlensäurehaltige Situationen erinnern. Er dachte an Sprudelwasser. Hefeteig. Mentos in Cola.
Aber es tat sich nix. Es gärte nicht.
Sechs. Sechs und Schluss.

Am Vortag des Käsefestivals rollten alle gemeinsam los.

Sie sangen lustige Käselieder wie „Ob g‘stinkad oder mild – wir san Käs und völlig wild!“ „Oberstdorf, wir sind heiß und holen uns den ersten Preis!“
Der Butterkäse und der Bauernkäse, die selbst nicht gerade für ihre große Lochproduktion bekannt waren, fanden es besonders lustig zu singen: „Loch für Loch, so soll’s sein – wer nicht gärt, bleibt daheim.“


Der Emmentaler fand das gemein. Wieder war er ganz unsicher, ob er überhaupt dabei sein sollte.

„Ich denk, ich werd‘ sicher den ersten Platz machen, allein schon, weil ich so gut ausschau.“ sagte der Rotschmierige.
Toll. Den Angeber brauchte der Emmentaler jetzt wirklich gar nicht. Er wollte nun wirklich umdrehen und zurück in die dunkle Käsekammer. Doch sie waren fast am Ziel angekommen und es gab keinen Weg mehr zurück.

Wenig später sahen sie am Eingang des Käsefestivals ein großes Schild mit den Worten: „Nur die besten Käse dürfen sich hier präsentieren.“

Der Allgäuer Emmentaler zitterte leicht. Er fühlte sich jetzt definitiv als wäre er ein Betrüger, durfte er überhaupt hier sein? Vielleicht war er mit seinen wenigen Löchern wirklich nicht viel mehr als nur ein Wachsmodell?

Gemeinsam betraten sie das Käsefestival. Der Allgäuer Emmentaler beobachtete alles ganz genau und wurde immer nervöser und leiser. Es waren viele Leute da und es war ein buntes Treiben.

Eigentlich waren ja alle ganz gut drauf. Und auch auch er begann sich plötzlich ein bisschen zu entspannen. Dann, auf einmal, begann die Jury die verschiedenen Käse vorzustellen. Die Leute tuschelten. Ihm wurde kurz ganz heiß, aber dann dann passierte es:
Der Butterkäse sah zwar gut aus, war aber weich wie immer und blieb vor Aufregung an der Tischdecke kleben.
Vom Rotschmierigen rückten alle freiwillig einen halben Meter ab.
Ein kleines Mädchen verzog das Gesicht und rief:
„Mama, der da stinkt wie Opas Hausschuhe. Den ess ich nie!“

Dann war er an der Reihe. Er hielt kurz die Luft an.
Laut kam es auch dem Mikrofon:
„Ein Allgäuer Emmentaler. Rund. Rindengereift. Mit sechs ehrlichen Löchern.
Aus Rohmilch vom Allgäuer Kühen.
Mit Geduld gereift.
Ein echter Allgäuer Emmentaler – wie er seit über 200 Jahren hier gemacht wird.“

Alle Leute schauten und begutachteten ihn. Ein Raunen ging durch die Reihen. Dann ein Applaus. Die Leute wollten ihn probieren. Sogar das Mädchen kam näher.

Und wer genau hinsah, sah das der Emmentaler sich nun richtig wohl fühlte. Mitten auf der Bühne.
Und wer ganz genau hinsah, sah, dass er neues kleines Loch bekommen hatte. Ganz unauffällig.
Wie von selbst.

Durch das Mikrofon erklärte die Jury „Beim Festival der Käsekunst zählt wie er schmeckt, wie er riecht, die Milch, aus der er gemacht ist, und: a g‘scheide G‘schicht.“

Neben ihm stand der Bergkäse, der sonst nie ein Wort zu viel sagte. Jetzt grinste er und flüsterte: „Weißt, die Löcher… des is nur Zierwerk. Wichtig is wirklich nur, wos dazwischen steckt.“

Der Allgäuer Emmentaler blinzelte. Irgendwie hatte er das geahnt – aber noch nie hatte es jemand so gesagt.

Plötzlich roch er das frische Bauernbrot vom Nachbarstand, spürte das warme Licht auf seiner Rinde, und sogar der Rotschmierige wirkte jetzt eher wie ein gemütlicher Stammtischbruder.

Für einen Augenblick fühlte er sich, als stünde er nicht auf einer Bühne, sondern mitten in einer großen, fröhlichen Brotzeit. Und das Beste: Er gehörte einfach dazu.

Da kam das Mädchen von vorhin zurück, deutete mit dem Finger zum Eingangsschild und rief: „Mama, da steht doch ‚Nur die Besten‘ – also nehm ma den mit heim!“

Die Erwachsenen lachten, die Kinder glucksten, und der Emmentaler stand einfach nur da, glänzte und spürte überrascht, wie sich plötzlich ganz viele Löcher gleichzeitig bildeten – begleitet von einem höchst verdächtigen „Pfft“.